Sitzung: 30.11.2022 Kreistag
Beschluss: Mehrheitlich abgelehnt
Abstimmung: Ja: 24, Nein: 24, Enthaltungen: 3
Vorlage: 31/Fraktionen KT/2022
Beschlussvorschlag:
Der
Kreistag möge beschließen:
(1) Der Kreistag unterstützt den Brief der
Stadt Zehdenick an die Bundesregierung.
(2) Der Landrat wird beauftragt, den Text
des Briefes als Position des Landkreises an den Bundeskanzler und die
Mitglieder der Bundesregierung zu übermitteln.
Brieftext:
Sehr geehrter
Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,
als politische
Vertreter des Landkreises Oder-Spree ist es unser oberstes Ziel, den Einwohnern
eine lebenswerte Umgebung zu schaffen - durch Gestaltung der sozialen,
wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung unserer Region.
Dieses Ziel
sehen wir durch die Bundespolitik massiv gefährdet.
Den
Herausforderungen der vergangenen Jahre begegneten die Bürgerinnen und Bürger
mit hohem Einsatz und beispielloser Solidarität. Auch die Kommunen haben enorme
zusätzliche finanzielle und personelle Anstrengungen unternommen um die
Krisenbewältigung zu unterstützen. Weitere Mehrbelastungen, wie sie jetzt als
Reaktion auf den russischen Angriffskrieg entstehen, sind nicht mehr
hinnehmbar. Seitens der Bundesregierung gibt es keinerlei wahrnehmbares Bemühen
um Diplomatie. Waffenlieferungen und entfesselte Sanktionsmaßnahmen sind derzeit
das alleinige Mittel der Wahl.
Wir wollen uns
nicht anmaßen zu wissen, was die richtigen Mittel sind in dieser politischen
Situation. Aber wir wissen, dass die Wirtschaft unseres Landes und der
Wohlstand unserer Bevölkerung nur aufrechterhalten werden kann, wenn wir
friedliche und neutrale Beziehungen zu anderen Ländern anstreben. Deutschland
verfügt nicht über Bodenschätze, Rohstoffe oder ausreichend sonstige
Energiequellen und ist deshalb in hohem Maße abhängig von anderen Ländern. Auch
wenn dort andere Werte gelebt werden, darf ein dauerhafter Konflikt- oder gar
Kriegszustand mit diesen Ländern niemals Ergebnis der deutschen Politik sein!
Angesichts der
bereits jetzt absehbaren Folgen betrachten wir die Entwicklungen mit äußerster
Sorge und Fassungslosigkeit. Dabei gilt unser tiefes Mitgefühl den vielen
Opfern des Krieges und auch jenen, die unter Sanktionen existenziell zu leiden
haben. Derzeit wird der soziale Friede in unserem Land auf eine harte Probe
gestellt. Nicht verhinderte Rekordinflation, drohende Rezession und
Betriebsschließungen sowie horrende Energiekosten treiben tausende Menschen nun
regelmäßig auf die Straßen. Das Vertrauen in Staat und Politik erodiert in
wachsenden Teilen der Gesellschaft. Wenn sich der politische Kurs nicht ändert,
werden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen verheerend sein.
Symbolische Hilfen wie der „Doppelwumms“ beheben leider keines der ursächlichen
Probleme. Um es in den Worten Helmut Schmidts zu sagen: „In der Krise beweist
sich der Charakter.“ Wir rufen Sie als Bundesregierung deshalb auf, alles zu
unterlassen, was diesen Krieg verlängert und alles dafür zu tun, dass die
Waffen schweigen!
Mit freundlichen Grüßen
Herr Dr. Pech berichtet, dass
er in Frankfurt (Oder) am 5.09.2022 den Protest der Bürger erlebt habe; es
ginge um ihre Existenz und um den Frieden. Nachdem die Medien einen Brief der
Stadtverordneten aus Königs Wusterhausen bekannt gemacht hätten: „Idee des
Kreistages an die Bundesregierung“ sowie nach Informationen über einen
entsprechenden Brief des Bürgermeisters und des Vorsitzenden der SVV von
Zehdenick, stand der Inhalt Pate für den vorliegenden Beschlussvorschlag. Er
sehe hier eine breite Übereinstimmung auf kommunaler Ebene, wenn gemeinsam
solch ein Brief unterzeichnet wurde. Dabei ginge es nicht um parteipolitische
Profilierung, sondern um „den Einwohnern eine lebenswerte Umgebung zu schaffen
durch Gestaltung der sozialen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in
unserer Region. Angesichts der bereits jetzt absehbaren Folgen betrachten wir
die Entwicklung mit Sorgen und Fassungslosigkeit…“ (Zitat). Aus Sicht seiner
Fraktion hätten die Forderungen noch anders gewählt werden können, solle es jedoch
nicht um kleinliche Rechthaberei gehen.
Der Kreistag sollte abseits
von jeglichen Streitereien die Worte teilen und dürfe man sich nicht anmaßen zu
wissen, was die richtigen Mittel seien in dieser politischen Situation. Jedoch
sei allen bekannt, dass die Wirtschaft des Landes und der Wohlstand der
Bevölkerung nur aufrecht erhalten werden könne, wenn friedliche Beziehungen zu
anderen Ländern angestrebt werden würden.
Herr Dr. Pech führt weitere
Beispiele der öffentlichen Positionierung anderer Bereiche an und bittet alle
Fraktionen, sich entsprechend durch Zustimmung dem Antrag anzuschließen.
Frau Scheufele ergreift das
Wort und bringt ebenso zum Ausdruck, dass sich die Situation sehr zugespitzt
hätte und schwer zu ertragen sei, jedoch müsse man sich der Realität stellen.
Aus dem Inhalt des Briefes erkenne sie den Vorwurf, dass die Bundesregierung
dafür verantwortlich sei und es in der Hand hätte, diese Situation zu beenden.
Sie stelle es in Frage,
welche Bedeutung und Aufgabe der Kreistag diesbezüglich habe und sehe in erster
Linie die Vertretung der Bevölkerung des Landkreises Oder-Spree. Man könne sich
nicht anmaßen, die Diplomatie der Bundesregierung zu kritisieren. Der Kreistag
hätte die Verantwortung, über Geschäfte des Landkreises zu entscheiden, die
eine halbe Million überschritten, was nichts mit der Außen- oder
Friedenspolitik zu tun hätte. Es entstünde im Alltag der Eindruck, auf der
kommunalen Ebene Blitzableiter für die Landes- oder Bundespolitik zu sein;
gestalte sich jedoch Diplomatie nicht als Öffentlichkeitsarbeit, sondern als
Vertrauensaufbau und bräuchte von allen Seiten Vertrauen.
Sie sehe die Botschaft des
Briefes als Anmaßung, fordere auf, selbst Verantwortung zu übernehmen und zu
vertrauen, was Grundlage einer jeden Beziehung, für ein friedliches
Zusammenleben sei und was auf allen Ebenen der Politik notwendig wäre.
Sie fordere weiter zur
Kommunikation auf, anstatt Unmut weiterzutragen; Bereitschaft zur
Perspektive-Übernahme, anstatt Briefe der Ohnmacht zu schreiben.
Frau Scheufele spricht sich
gegen diesen Brief aus, jedoch für ein konstruktives Miteinander.
Herr Dr. Zeschmann führt aus,
dass zu verzeichnen sei, dass immer mehr Unternehmen in die Insolvenz gingen,
kleine Unternehmen ihre Gewerbe einstellten, ihre Gewerbescheine zurückgäben,
größere Unternehmen abwanderten, viele Fachleute in den Medien und
verschiedensten Fachpressen von einer Deindustrialisierung sprächen, aufgrund
der extrem gestiegenen Energiepreise, dass private Haushalte darunter litten.
Er befürchte, dass sich die Gesellschaft weiter aufspalte, in die, deren Existenzen
zerstört werden würde, die ihre Energiekosten nicht bezahlen könnten. Es müsse
versucht werden, eine Lösung zu finden.
Herr Fachtan entgegnet den
Worten von Frau Scheufele; man dürfe die Realität nicht aus dem Auge verlieren.
Als Beispiel benennt er die Energiepolitik, die nicht erst seit Februar 2022
betrieben werde, und die auf allen Ebenen die finanzielle Lage zerstöre: die
Finanzen der Gemeinden, der Kreise, der Industrie, der Gewerbetreibenden und
der privaten Haushalte. Die Zerstörung sehe er so massiv; sie sei seit 1990
nicht so gewesen und durch die Politik der Bundesregierung eingeleitet worden.
Das bedürfe einer massiven Gegenwehr, ansonsten komme die
gesamtgesellschaftliche Realität – Zerstörung der Finanzen auf allen Ebenen und
Zerstörung der Industrie – nicht bei der Bundesregierung an. Er bezeichne es
als katastrophales Werk der Regierung und man müsse sich für die Existenz der
Bürger einsetzen, von denen 60 % durch die Inflation und erhöhte Lebensmittel-
und durch die Decke steigenden Energiepreise keine Ersparnisse mehr bilden
könnten. Es dürfe nicht so getan werden, dass man sich mit dieser Politik
einverstanden erkläre.
Herr Storek schließt sich an,
er sehe das Leben der Menschen und die Entwicklung des Landes als äußerst
gefährdet, was durch weltweite Krisen und den Krieg in der Ukraine
hervorgerufen worden sei und dürfe die Ultima Ratio der Regierung nicht „Krieg
bis zum Sieg“ sein.
Unter Diplomatie verstehe er,
miteinander zu reden und nichts sonst, die Politiker müssten sich
zusammensetzen. Insoweit unterstütze und begrüße er das Schreiben aus
Zehdenick, in dem die Situation und Gefühlslage aufgegriffen worden sei. Die
Losung: „Frieden schaffen ohne Waffen“ stelle er dem entgegen, dass
Waffenlieferungen eine Beteiligung am Krieg bedeuteten. Der Frieden sollte als
oberstes Gebot stehen, daher befürworte der den Brief.
Herr Schroeder widerspricht
den Worten von Herrn Fachtan; man dürfe nicht von einer finanziellen Zerstörung
im Kontext, verbunden mit dem Krieg in der Ukraine sprechen. Eine Zerstörung in
jeglicher Hinsicht finde im Kriegsgebiet und nicht hier vor Ort statt. Die
Situation gestalte sich sehr schwierig und man dürfe sich nicht anmaßen,
welches Mittel gewählt werden sollte und entscheiden, welchen Frieden die
Ukraine akzeptiere. Seiner Auffassung nach wäre der Adressat für den Brief Herr
Putin selbst und müsse genau darüber nachgedacht werden, wenn man in seiner
Wortwahl das Wort „Zerstörung“ benutze.
Herr Heisel schließt sich den
Ausführungen von Herrn Schroeder an und sehe den Brief nicht ausreichend, um
hier an der Situation etwas zu verändern. Daher könne er nicht zustimmen.
Abschließend ergreift der
Landrat das Wort. Der Kreistag hätte in der Vergangenheit mehrere Briefe und
Resolutionen verabschiedet und umfangreich über verschiedene Probleme
diskutiert. Was jedoch seiner Meinung nach nicht geschehen sollte, ist, einen
Brief aufzusetzen und darüber abzustimmen, der aus einer anderen Feder stamme
und ohne diesen kritisch zu betrachtet zu haben. Er könne sich den Inhalt nicht
zu eigen machen und dem Adressaten diesen Brief anbieten. Sofern der Kreistag
sich für die Versendung des Briefes entscheide, müsse man sich einen anderen
Postboten suchen und spreche er sich ausdrücklich dagegen aus und distanziere
sich davon, sich auf diese Art und Weise an den Bundeskanzler bzw. die
Bundesregierung zu wenden. Dabei ginge es nicht um den parteipolitischen
Willen, sondern überschreite der Brief die rechtlichen Grenzen. Es sei ein
tragendes Element eines Rechtsstaates, in einer Zuständigkeitsordnung zu leben
und alle, die in diesem Land Aufgaben im öffentlichen Bereich bewältigten,
müssten sich daran halten. Der Kreistag besitze kein allgemein politisches
Mandat und nicht die Kompetenz und Legitimation, die Außenpolitik der
Bundesregierung einer Wertung zu unterziehen. Ebenso habe ein Landrat nicht das
Recht, eine derartige Bewertung an den Bundeskanzler zu richten.
Darüber hinaus weise der
Brief eine ganze Reihe Respektlosigkeit gegenüber der Person des Bundeskanzlers
und den Mitgliedern der Bundesregierung auf, die er nicht passieren lassen könne;
es scheine, die Urheber seien mit den üblichen Gepflogenheiten im Umgang
miteinander nicht vertraut zu sein und schon gar nicht gegenüber dem Inhaber
des höchsten Regierungsamtes in dieser Republik. Man müsse sich
vergegenwärtigen, dass hier der Kreistag zusammentreffe. Man begegne dem
Bundeskanzler nicht im parlamentarischen Raum als eine Art Opposition, sondern
als Verwaltung. Insoweit müsse der rechtliche Rahmen eingehalten werden. Da
dieses Recht mit dem Brief verletzt werde, könne er dem Wunsch zur
Unterzeichnung nicht entsprechen. Im Übrigen sehe er den Briefentwurf als
trauriges Manifest dafür an, wie sehr die russische Kriegspropaganda schon in
die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen sei. Der Brief wirke ausgesprochen
zynisch, schon deshalb, weil man 90 Jahre nach dem Völkermord Stalins erneut
mit Hunger und Kälte versuche, 40 Mio. Ukrainer gefügig zu machen. Das könne
nicht tatenlos hingenommen werden, indem man der Bundesregierung empfiehlt, die
Waffenlieferung zu stoppen mit der Konsequenz, dass die Ukraine den russischen
Expansionsgelüsten preisgegeben werde. Wer sich an seinen Werten orientiere und
sich diese zugute halte, der dürfe nicht die Augen davor verschließen, dass
jeden Tag fürchterliche Verbrechen, wie Mord, Tötung von Zivilisten,
Verschleppung von Menschen stattfänden und Zwangsadoption von Kindern, stolz im
russischen Fernsehen zur Schau gestellt werden würden. Wer das hinnehme, dem
sei ein schlimmes Maß an Empathielosigkeit und Zynismus zuzuordnen. Der Landrat
fordert dazu auf, diesen Brief zurückzuziehen.
Herr Schink stellt den Antrag
zur Geschäftsordnung, nach umfangreicher Diskussion nunmehr über den Antrag
abzustimmen.
Es erfolgt die Abstimmung
über den Antrag zur Geschäftsordnung:
Abstimmungsergebnis: Ja: 23,
Nein: 16, Enthaltung: 1,
mehrheitlich zugestimmt.
Herr Dr. Rosentreter
beantragt daraufhin die namentliche Abstimmung. (Anlage zu TOP 9)
Hinweis: Die Auszählung der
namentlichen Abstimmung erfolgte durch das Kreistagsbüro unter dem
Vier-Augen-Prinzip. Da die Abgeordnete, Frau Bettina Lehmann
(Online-Teilnahme), angab, ein anderes Stimmenverhältnis gezählt zu haben,
wurde durch die Protokollantin beim Schreiben des Protokolls der Sitzung der
Mitschnitt noch einmal geprüft. Das Ergebnis ergab keine Abweichungen des
bekannt gegebenen Stimmenverhältnisses.