Beschluss: Mehrheitlich abgelehnt

Abstimmung: Ja: 24, Nein: 24, Enthaltungen: 3

Beschlussvorschlag:

 

Der Kreistag möge beschließen:

 

(1)  Der Kreistag unterstützt den Brief der Stadt Zehdenick an die Bundesregierung.

(2)  Der Landrat wird beauftragt, den Text des Briefes als Position des Landkreises an den Bundeskanzler und die Mitglieder der Bundesregierung zu übermitteln.

 

Brieftext:

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,

 

als politische Vertreter des Landkreises Oder-Spree ist es unser oberstes Ziel, den Einwohnern eine lebenswerte Umgebung zu schaffen - durch Gestaltung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung unserer Region.

 

Dieses Ziel sehen wir durch die Bundespolitik massiv gefährdet.

 

Den Herausforderungen der vergangenen Jahre begegneten die Bürgerinnen und Bürger mit hohem Einsatz und beispielloser Solidarität. Auch die Kommunen haben enorme zusätzliche finanzielle und personelle Anstrengungen unternommen um die Krisenbewältigung zu unterstützen. Weitere Mehrbelastungen, wie sie jetzt als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg entstehen, sind nicht mehr hinnehmbar. Seitens der Bundesregierung gibt es keinerlei wahrnehmbares Bemühen um Diplomatie. Waffenlieferungen und entfesselte Sanktionsmaßnahmen sind derzeit das alleinige Mittel der Wahl.

 

Wir wollen uns nicht anmaßen zu wissen, was die richtigen Mittel sind in dieser politischen Situation. Aber wir wissen, dass die Wirtschaft unseres Landes und der Wohlstand unserer Bevölkerung nur aufrechterhalten werden kann, wenn wir friedliche und neutrale Beziehungen zu anderen Ländern anstreben. Deutschland verfügt nicht über Bodenschätze, Rohstoffe oder ausreichend sonstige Energiequellen und ist deshalb in hohem Maße abhängig von anderen Ländern. Auch wenn dort andere Werte gelebt werden, darf ein dauerhafter Konflikt- oder gar Kriegszustand mit diesen Ländern niemals Ergebnis der deutschen Politik sein!

 

Angesichts der bereits jetzt absehbaren Folgen betrachten wir die Entwicklungen mit äußerster Sorge und Fassungslosigkeit. Dabei gilt unser tiefes Mitgefühl den vielen Opfern des Krieges und auch jenen, die unter Sanktionen existenziell zu leiden haben. Derzeit wird der soziale Friede in unserem Land auf eine harte Probe gestellt. Nicht verhinderte Rekordinflation, drohende Rezession und Betriebsschließungen sowie horrende Energiekosten treiben tausende Menschen nun regelmäßig auf die Straßen. Das Vertrauen in Staat und Politik erodiert in wachsenden Teilen der Gesellschaft. Wenn sich der politische Kurs nicht ändert, werden die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen verheerend sein. Symbolische Hilfen wie der „Doppelwumms“ beheben leider keines der ursächlichen Probleme. Um es in den Worten Helmut Schmidts zu sagen: „In der Krise beweist sich der Charakter.“ Wir rufen Sie als Bundesregierung deshalb auf, alles zu unterlassen, was diesen Krieg verlängert und alles dafür zu tun, dass die Waffen schweigen!

 

Mit freundlichen Grüßen

 


Herr Dr. Pech berichtet, dass er in Frankfurt (Oder) am 5.09.2022 den Protest der Bürger erlebt habe; es ginge um ihre Existenz und um den Frieden. Nachdem die Medien einen Brief der Stadtverordneten aus Königs Wusterhausen bekannt gemacht hätten: „Idee des Kreistages an die Bundesregierung“ sowie nach Informationen über einen entsprechenden Brief des Bürgermeisters und des Vorsitzenden der SVV von Zehdenick, stand der Inhalt Pate für den vorliegenden Beschlussvorschlag. Er sehe hier eine breite Übereinstimmung auf kommunaler Ebene, wenn gemeinsam solch ein Brief unterzeichnet wurde. Dabei ginge es nicht um parteipolitische Profilierung, sondern um „den Einwohnern eine lebenswerte Umgebung zu schaffen durch Gestaltung der sozialen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in unserer Region. Angesichts der bereits jetzt absehbaren Folgen betrachten wir die Entwicklung mit Sorgen und Fassungslosigkeit…“ (Zitat). Aus Sicht seiner Fraktion hätten die Forderungen noch anders gewählt werden können, solle es jedoch nicht um kleinliche Rechthaberei gehen.

Der Kreistag sollte abseits von jeglichen Streitereien die Worte teilen und dürfe man sich nicht anmaßen zu wissen, was die richtigen Mittel seien in dieser politischen Situation. Jedoch sei allen bekannt, dass die Wirtschaft des Landes und der Wohlstand der Bevölkerung nur aufrecht erhalten werden könne, wenn friedliche Beziehungen zu anderen Ländern angestrebt werden würden. 

Herr Dr. Pech führt weitere Beispiele der öffentlichen Positionierung anderer Bereiche an und bittet alle Fraktionen, sich entsprechend durch Zustimmung dem Antrag anzuschließen.  

 

Frau Scheufele ergreift das Wort und bringt ebenso zum Ausdruck, dass sich die Situation sehr zugespitzt hätte und schwer zu ertragen sei, jedoch müsse man sich der Realität stellen. Aus dem Inhalt des Briefes erkenne sie den Vorwurf, dass die Bundesregierung dafür verantwortlich sei und es in der Hand hätte, diese Situation zu beenden.

Sie stelle es in Frage, welche Bedeutung und Aufgabe der Kreistag diesbezüglich habe und sehe in erster Linie die Vertretung der Bevölkerung des Landkreises Oder-Spree. Man könne sich nicht anmaßen, die Diplomatie der Bundesregierung zu kritisieren. Der Kreistag hätte die Verantwortung, über Geschäfte des Landkreises zu entscheiden, die eine halbe Million überschritten, was nichts mit der Außen- oder Friedenspolitik zu tun hätte. Es entstünde im Alltag der Eindruck, auf der kommunalen Ebene Blitzableiter für die Landes- oder Bundespolitik zu sein; gestalte sich jedoch Diplomatie nicht als Öffentlichkeitsarbeit, sondern als Vertrauensaufbau und bräuchte von allen Seiten Vertrauen.

Sie sehe die Botschaft des Briefes als Anmaßung, fordere auf, selbst Verantwortung zu übernehmen und zu vertrauen, was Grundlage einer jeden Beziehung, für ein friedliches Zusammenleben sei und was auf allen Ebenen der Politik notwendig wäre.

Sie fordere weiter zur Kommunikation auf, anstatt Unmut weiterzutragen; Bereitschaft zur Perspektive-Übernahme, anstatt Briefe der Ohnmacht zu schreiben.

Frau Scheufele spricht sich gegen diesen Brief aus, jedoch für ein konstruktives Miteinander.

 

Herr Dr. Zeschmann führt aus, dass zu verzeichnen sei, dass immer mehr Unternehmen in die Insolvenz gingen, kleine Unternehmen ihre Gewerbe einstellten, ihre Gewerbescheine zurückgäben, größere Unternehmen abwanderten, viele Fachleute in den Medien und verschiedensten Fachpressen von einer Deindustrialisierung sprächen, aufgrund der extrem gestiegenen Energiepreise, dass private Haushalte darunter litten. Er befürchte, dass sich die Gesellschaft weiter aufspalte, in die, deren Existenzen zerstört werden würde, die ihre Energiekosten nicht bezahlen könnten. Es müsse versucht werden, eine Lösung zu finden.

 

Herr Fachtan entgegnet den Worten von Frau Scheufele; man dürfe die Realität nicht aus dem Auge verlieren. Als Beispiel benennt er die Energiepolitik, die nicht erst seit Februar 2022 betrieben werde, und die auf allen Ebenen die finanzielle Lage zerstöre: die Finanzen der Gemeinden, der Kreise, der Industrie, der Gewerbetreibenden und der privaten Haushalte. Die Zerstörung sehe er so massiv; sie sei seit 1990 nicht so gewesen und durch die Politik der Bundesregierung eingeleitet worden. Das bedürfe einer massiven Gegenwehr, ansonsten komme die gesamtgesellschaftliche Realität – Zerstörung der Finanzen auf allen Ebenen und Zerstörung der Industrie – nicht bei der Bundesregierung an. Er bezeichne es als katastrophales Werk der Regierung und man müsse sich für die Existenz der Bürger einsetzen, von denen 60 % durch die Inflation und erhöhte Lebensmittel- und durch die Decke steigenden Energiepreise keine Ersparnisse mehr bilden könnten. Es dürfe nicht so getan werden, dass man sich mit dieser Politik einverstanden erkläre.

 

Herr Storek schließt sich an, er sehe das Leben der Menschen und die Entwicklung des Landes als äußerst gefährdet, was durch weltweite Krisen und den Krieg in der Ukraine hervorgerufen worden sei und dürfe die Ultima Ratio der Regierung nicht „Krieg bis zum Sieg“ sein.

Unter Diplomatie verstehe er, miteinander zu reden und nichts sonst, die Politiker müssten sich zusammensetzen. Insoweit unterstütze und begrüße er das Schreiben aus Zehdenick, in dem die Situation und Gefühlslage aufgegriffen worden sei. Die Losung: „Frieden schaffen ohne Waffen“ stelle er dem entgegen, dass Waffenlieferungen eine Beteiligung am Krieg bedeuteten. Der Frieden sollte als oberstes Gebot stehen, daher befürworte der den Brief.

 

Herr Schroeder widerspricht den Worten von Herrn Fachtan; man dürfe nicht von einer finanziellen Zerstörung im Kontext, verbunden mit dem Krieg in der Ukraine sprechen. Eine Zerstörung in jeglicher Hinsicht finde im Kriegsgebiet und nicht hier vor Ort statt. Die Situation gestalte sich sehr schwierig und man dürfe sich nicht anmaßen, welches Mittel gewählt werden sollte und entscheiden, welchen Frieden die Ukraine akzeptiere. Seiner Auffassung nach wäre der Adressat für den Brief Herr Putin selbst und müsse genau darüber nachgedacht werden, wenn man in seiner Wortwahl das Wort „Zerstörung“ benutze.

 

Herr Heisel schließt sich den Ausführungen von Herrn Schroeder an und sehe den Brief nicht ausreichend, um hier an der Situation etwas zu verändern. Daher könne er nicht zustimmen.

 

Abschließend ergreift der Landrat das Wort. Der Kreistag hätte in der Vergangenheit mehrere Briefe und Resolutionen verabschiedet und umfangreich über verschiedene Probleme diskutiert. Was jedoch seiner Meinung nach nicht geschehen sollte, ist, einen Brief aufzusetzen und darüber abzustimmen, der aus einer anderen Feder stamme und ohne diesen kritisch zu betrachtet zu haben. Er könne sich den Inhalt nicht zu eigen machen und dem Adressaten diesen Brief anbieten. Sofern der Kreistag sich für die Versendung des Briefes entscheide, müsse man sich einen anderen Postboten suchen und spreche er sich ausdrücklich dagegen aus und distanziere sich davon, sich auf diese Art und Weise an den Bundeskanzler bzw. die Bundesregierung zu wenden. Dabei ginge es nicht um den parteipolitischen Willen, sondern überschreite der Brief die rechtlichen Grenzen. Es sei ein tragendes Element eines Rechtsstaates, in einer Zuständigkeitsordnung zu leben und alle, die in diesem Land Aufgaben im öffentlichen Bereich bewältigten, müssten sich daran halten. Der Kreistag besitze kein allgemein politisches Mandat und nicht die Kompetenz und Legitimation, die Außenpolitik der Bundesregierung einer Wertung zu unterziehen. Ebenso habe ein Landrat nicht das Recht, eine derartige Bewertung an den Bundeskanzler zu richten.

Darüber hinaus weise der Brief eine ganze Reihe Respektlosigkeit gegenüber der Person des Bundeskanzlers und den Mitgliedern der Bundesregierung auf, die er nicht passieren lassen könne; es scheine, die Urheber seien mit den üblichen Gepflogenheiten im Umgang miteinander nicht vertraut zu sein und schon gar nicht gegenüber dem Inhaber des höchsten Regierungsamtes in dieser Republik. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass hier der Kreistag zusammentreffe. Man begegne dem Bundeskanzler nicht im parlamentarischen Raum als eine Art Opposition, sondern als Verwaltung. Insoweit müsse der rechtliche Rahmen eingehalten werden. Da dieses Recht mit dem Brief verletzt werde, könne er dem Wunsch zur Unterzeichnung nicht entsprechen. Im Übrigen sehe er den Briefentwurf als trauriges Manifest dafür an, wie sehr die russische Kriegspropaganda schon in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen sei. Der Brief wirke ausgesprochen zynisch, schon deshalb, weil man 90 Jahre nach dem Völkermord Stalins erneut mit Hunger und Kälte versuche, 40 Mio. Ukrainer gefügig zu machen. Das könne nicht tatenlos hingenommen werden, indem man der Bundesregierung empfiehlt, die Waffenlieferung zu stoppen mit der Konsequenz, dass die Ukraine den russischen Expansionsgelüsten preisgegeben werde. Wer sich an seinen Werten orientiere und sich diese zugute halte, der dürfe nicht die Augen davor verschließen, dass jeden Tag fürchterliche Verbrechen, wie Mord, Tötung von Zivilisten, Verschleppung von Menschen stattfänden und Zwangsadoption von Kindern, stolz im russischen Fernsehen zur Schau gestellt werden würden. Wer das hinnehme, dem sei ein schlimmes Maß an Empathielosigkeit und Zynismus zuzuordnen. Der Landrat fordert dazu auf, diesen Brief zurückzuziehen.

 

Herr Schink stellt den Antrag zur Geschäftsordnung, nach umfangreicher Diskussion nunmehr über den Antrag abzustimmen.

 

Es erfolgt die Abstimmung über den Antrag zur Geschäftsordnung:

Abstimmungsergebnis: Ja: 23, Nein: 16, Enthaltung: 1,

mehrheitlich zugestimmt.

 

Herr Dr. Rosentreter beantragt daraufhin die namentliche Abstimmung. (Anlage zu TOP 9)

 

Hinweis: Die Auszählung der namentlichen Abstimmung erfolgte durch das Kreistagsbüro unter dem Vier-Augen-Prinzip. Da die Abgeordnete, Frau Bettina Lehmann (Online-Teilnahme), angab, ein anderes Stimmenverhältnis gezählt zu haben, wurde durch die Protokollantin beim Schreiben des Protokolls der Sitzung der Mitschnitt noch einmal geprüft. Das Ergebnis ergab keine Abweichungen des bekannt gegebenen Stimmenverhältnisses.